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In diesem Blog werde ich nacheinander aktuelle Ereignisse aus technetoistischer Perspektive kommentieren. Die bisherige WordPress-Instanz habe ich wegen des hohen Bedarfs an Festplattenspeicher wieder entfernt.

Japanischer Mann heiratet Hologramm (24.11.2018)

In Japan hat der 35-Jährige Akihiko Kondo eine virtuelle Frau, üblicherweise durch ein Hologramm dargestellt, geheiratet – und die Reaktionen gehen bis zur Behauptung, dies sei ein Fall von einer psychischen Störung.

Interessant aber ist es, vor solch einer anmaßenden Behauptung (die freilich nur daher ihren Ursprung hat, dass die meisten Leute nicht bereit sind, ihre Normen zu hinterfragen, und schockiert sind, wenn jemand anders dies für sie tut) erst einmal zu betrachten, auf welcher Grundlage der Mensch Liebe empfindet, und welche Voraussetzungen erforderlich sind. Hierzu ein Gedankenexperiment: Alice bekommt von Carol einiges über ihren Bruder Bob erzählt. Sie erzählt Alice, wofür er sich interessiert, wie er an Fragen herangeht, was seine Meinungen zu Themen sind usw. Außerdem zeigt sie ihm eine Fotografie von Bob. Kann Alice sich schon auf dieser Grundlage verlieben? Das halte ich nicht für unmöglich, auch, wenn es sicherlich schwer ist, zu beurteilen, ob sie wirklich mit Bob eine glückliche Beziehung führen kann, da er ja noch nie auf ihren Charakter eine Reaktion gezeigt hat. Nun aber geht es weiter: Carol erzählt Alice davon, dass sie auch schon umgekehrt Bob von Alice erzählt hat, und er habe wirklich den Wunsch, sie Mal kennen zu lernen. Doch da sie 9.000 Kilometer entfernt voneinander wohnen, wird das bis auf weiteres nicht möglich sein. Sie bietet Alice an, mit Bob über einen Fernschreiber zu schreiben, und ihre hohen Formulierungskünste führen regelmäßig dazu, dass sich in ihrer Ausdrucksweise nicht nur der Inhalt sondern auch die Gedanken, gewissermaßen auch ein schriftliches Äquivalent zur Aussprache und Betonung, wiederfindet. Es entwickelt sich noch weiter und Alice benutzt ein Datenmodem, welches sie fortan zusammen mit ihrem Laptop vielerorts mitführt, um Bob zu schreiben, was sie gerade tut, und wie es ihr dabei geht. Auch telefonieren sie häufiger und auch mit ihrem Mobiltelefon kann Alice jederzeit mit Bob sprechen und ihr ihre Gedanken und Gefühle vermitteln. Können sie zum jetzigen Zeitpunkt verliebt sein? Ich denke, ja. Das Problem bzw. die Aussage des Gedankenexperimentes ist jedoch, dass bisher es ebenso möglich gewesen wäre, dass Carol auf Basis eines frei unter ästhetischen Gesichtspunkten geschaffenen Charaktermodells Bob erfunden haben könnte, also in Wirklichkeit gar keinen Bruder hat, und auch nicht ihre eigene Persönlichkeit in Bob einfließen ließ. Das unmittelbare Resultat ist also, dass Alice sich unabhängig von der wirklichen Existenz von Bob verlieben konnte.

Ein möglicher Einwand wäre nun die Aussage, dass dies ja keine „echte Liebe“ ist. Gehen wir einmal davon aus, diese Person definiert echte Liebe als eine Form der Liebe, in der alles, was im Rahmen der Liebe empfunden wird, Wirklichkeit ist. Hier bleibt zunächst die Frage, inwiefern eine „normale“ Liebe denn Wirklichkeit ist, wenn auch diese einfach darauf basiert, dass über die Sinnesorgane Informationen wahrgenommen werden, deren Implikationen als positiv empfunden werden, und daher höchste Form der Zuneigung bewirken. Daneben sollte auch nicht die irreführende Frage, ob es so gut wie „echte“ Liebe ist, gestellt werden, sondern, ob es besser als Einsamkeit bzw. unerwünschte Abwesenheit einer Beziehung ist, denn deren Überwindung ist das Ziel einer jeden gegenseitigen Beziehung.

Mit der Aussage, dass die Person psychisch krank sei (was ich anhand eines Medienberichtes weder verifizieren noch widerlegen kann, und außerdem sollte man diese Einschätzung empirisch arbeitenden Psychologen überlassen) bestätigt sich leider nur das alte Bild der angewiderten Ablehnung von allem, was das eigene Weltbild erschüttert. Stattdessen wurden ernsthafte Fragen und potentielle Probleme nicht angesprochen, etwa die Frage, ob die Beziehung zu einem virtuellen Charakter dazu führen kann, sich in eine unnatürliche Machtposition zu begeben, da durch Programmierung letztlich frei bestimmbar ist, wie sich die Partnerschaftsperson verhält (auch dies wirft jedoch Fragen auf, allem voran, ob überhaupt ein Problem vorliegt, denn es wird keiner realen Person psychologisch geschadet, und außerdem sind auch reale Personen typischerweise für derartige Manipulationen anfällig, Stichwort Gaslighting), und welchen Wert eine Beziehung durch die Tatsache, dass wirklich eine Person das Empfinden für einen hat, erhält (und damit eine gewisse Bedeutung der eigenen Person erst impliziert wird).

Bemerkenswert ist auch, dass Kondo es offensichtlich für plausibel hält, dass seine Partnerin Miku sowohl durch die Holografie als auch die Stofffigur (die, etwas konnotativ, normalerweise eher „Plüschpuppe“ etc. genannt wird) repräsentiert werden kann – so war während der Veranstaltung der Hochzeitsfeier letzteres der Fall gewesen. Dies veranschaulicht weitergehend das eben angesprochene Konzept des Verlieben in eine abstrakte Persönlichkeit, die nicht zwingend durch einen biologischen Körper repräsentiert wird, sondern ebenso durch bloße literarische Erscheinungen (wie im Beispiel mit dem Fernschreiber) oder andere Medien repräsentierbar ist. Verliebt hat sich – soweit ich das beurteilen kann – Kondo also in das abstrakte Konzept der Persönlichkeit von Miku sowie der Beschreibung ihres Aussehens, von der dann die Holografie, die Stofffigur usw. nur verschiedene Instanzen implementieren.

Ferner kommentiert der Artikel, dass es nicht überraschend sei, dass zu Kondos Hochzeitsfeier niemand seiner Verwandten erschienen ist. Nun, dies ist tatsächlich nicht überraschend, aber es wäre noch wichtig gewesen, zu erwähnen, dass dies an den auch in Japan verbreiteten Vorstellungen konservativer Familienbilder liegt, und auch, wenn freiwillige Entscheidungen niemals Schuldige haben, die Ursache rein rational betrachtet wohl kaum von Kondo ausgeht. Ob die anderen ca. 40 Gäste, welche zu der für 2.000.000 Yen (etwa 15.560 Euro) veranstalteten Feier erschienen, eher Schaulustige für eine vermeintliche „Freakshow“ waren (die Art von Personen, die auch nicht verstanden hätte, woher die romantische Bewegung im 19. Jahrhundert in Europa herkam, als der Übergang aus der Klassik zu ihr stattfand), oder ernsthaft sich für das aus gesellschaftlicher Sicht gewagte Ereignis interessierten, bleibt offen.

Ich kann nur hoffen, dass solche Ereignisse sich oft genug weltweit wiederholen, um für Aufmerksamkeit und Entsetzen zu sorgen, damit traditionelle Familienbilder weiterhin in Frage gestellt werden und so die Notwendigkeit entsteht, alternative Entscheidungen zum Lebenswandel ernsthaft zu diskutieren, und es hier nicht bei oberflächlichen, nicht-empirischen psychologischen Ferndiagnosen zu belassen.

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