Das ästhetische Verhalten

Von allen ästhetischen Mitteln hat das Ästhetische Verhalten (ÄV) sicherlich am meisten mit der realen Welt zu tun. Während die Vorstellung gar keine Interaktionen mit der Außenwelt erfordert - denn sie spielt sich ja gänzlich im menschlichen Nervensystem ab - und auch die Kunst, trotz der vielfältigen Diskussion dieser und dem kulturellen Austausch, letztlich nur eine fixe Informationsmenge ist, hat Simulation bereits die auch für das ÄV relevante Eigenschaft, dass Interaktion vorliegt. Das Beispiel mit der Hydra aus dem Artikel über Simualtion verdeutlicht dies anschaulich. Abhängig vom Verhalten des Akteurs entsteht jedes Mal ein anderer Verlauf (jedes Mal ist allerdings nicht streng mathematisch zu verstehen, da letztlich jedes als Computerprogramm beschreibbare Regelwerk eine begrenzte Anzahl an Verläufen hat). Beim ästhetischen Verhalten sind jedoch nicht mathematische Regeln definiert, mit denen interagiert wird, sondern die menschliche Verhaltensweise wird an den Universumsaspekt angepasst. Dies kann beispielsweise geschehen, indem innerhalb eines mittels Fernschreiber geführten Dialogs ("Chat") die Ausdrucksweise, das Kontextwissen und allgemein die Verhaltensweise an einen Charakter aus einem technetoistischen Universum angepasst wird, oder auch, indem unter Beibehaltung der "natürlichen" Charaktereigenschaften dieser Person die Rahmenbedingungn an dieses angepasst werden. Natürlich muss dies nicht zwangsläufig per Fernschreiber erfolgen; ebenso kann es bei einem physischen Treffen oder auf jedem Weg der Telekommunikation erfolgen. Erfolgt es als physisches Treffen, mag es einem zunächst so vorkommen, als würde hier ein Theaterstück vorliegen, welches selbst ja Kunst sein müsste, statt ÄV. Allerdings besteht bei einem solchen Rollenspiel ein fundamentaler Unterschied zu einer Theateraufführung: Einerseits, dass alles dynamisch erzeugt wird, anstatt von einem Autoren verfasst worden zu sein (das experimentelle Theater kennt jedoch auch bewusst vorgeschriebene Improvisation, diese fallen dennoch unter das ästhetische Mittel Kunst), und - eher qualitativer Natur - dass es nicht für ein Publikum stattfindet (um diesen die Handlung zu zeigen) sondern für die Teilnehmenden selbst, damit diese einer Darstellung bzw. Wahrnehmung ausgesetzt sind, als wären sie die fiktiven Charaktere oder "sie selbst" in einer fiktionalen Umgebung - ebenso ist natürlich beides denkbar.

Doch der Begriff des ÄVs ist allgemeiner als der des Rollenspiels und letzteres sollte ausschließlich als feste Untermenge des ÄV betrachtet werden. Ein Beispiel für ÄV, das kein Rollenspiel ist, wäre etwa die Herangehensweise an eine Tätigkeit (diese kann, muss jedoch nicht, kreativer Natur sein) versuchtermaßen so durchzuführen, dass darin die persönlichen Eigenschaften eines fiktiven Charakters wiedererkennbar werden. Das Ergebnis dessen wäre zwar einerseits als ein Kunstwerk zu betrachten, da es alle Kriterien der technetoistischen Kunstdefinition erfüllt, andererseits ist der Entstehungsprozess, der zwar von Außenstehenden nicht wahrnehmbar ist, für den Künstler selbst jedoch durch sein ÄV eine ästhetische Bereicherung sein mag, als ÄV zu klassifizieren. Ein anderes Beispiel ist ästhetische Religion: In klarer Kenntnis der Tatsache, dass eine Religion und deren Lehre empirisch nicht zutrifft, wird diese dennoch wegen der Ästhetik der Annahme, diese sei wahr (obwohl bekannt ist, dass sie es nicht ist; ansonsten wäre es "normale" Religion) ausgelebt, sei es individuell oder in Gruppierungen. Dies kann entweder mit kulturell existierenden Religionen (wie den Weltreligionen oder anderen am Rande relevanten) oder offenkundig fiktionalen praktiziert werden.

Mehr als alle anderen ästhetischen Mittel hat ÄV das Potential, die bürgerliche Normalität und die etablierte Auffassung von Ordentichkeit, Sachlichkeit, "Anstand", Seriösität und dergleichen anzugreifen; das gilt natürlich speziell, wenn die natürliche Identität (falls man so den Charakter eines Menschen, der kein ÄV begeht, bezeichnen mag) langfristig zugunsten des ÄV ablegt. Bei einer weiteren Verbreitung der technetoistischen Lehre ist davon auszugehen, dass das ÄV das Kontroverseste der ästhetischen Mittel sein dürfte.

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